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SAILING | JUNI 2011 | FLENSBURGER FÖRDE

MEINE HEIMAT IST DIE SEE

Eine lebenslange Verbindung zum Meer und zur Seefahrt beschert mir immer mal wieder die Gelegenheit zur Begegnung mit unterschiedlichsten Wasserfahrzeugen. Heute zeigt er hier einen ganz besonderen nautischen Leckerbissen, lest und seht selbst.

 

ART IMPRESSION INDICATOR

NEWCLEAR POWER |||||•••••• FUNNY FALLOUT

MEINE HEIMAT IST DIE SEE

Ich habe seit Tagen kein Land gesehen, keine Küste, keine Insel. In die Ferne zu blicken ist schwer, wenn die Augen nur ein paar Zentimeter über der Wasseroberfläche sind. Sich recken im Wasser? – Unmöglich. Zusätzlich versperren mir die Wellen die Sicht. Ich treibe irgendwo im Meer. Seit wann? Das weiß ich nicht mehr, ich habe aufgehört, die Tage zu zählen. Tagsüber brennt die Sonne auf den Kopf, die Zunge liegt trocken im Mund, das Meerwasser verdunstet auf der Haut und hinterlässt eine Salzkruste im Gesicht. Ununterbrochener Salzgeschmack. Ich habe einen Sonnenbrand. Nachts wird es kalt und so dunkel, dass ich jeden einzelnen Stern sehen kann. Was soll ich sonst tun? Im Wasser treibend schlafen?

Ab und zu umkreisen mich ein paar Schweinswale, hier und da streifen irgendwelche Wesen der See meine Beine und verschwinden wieder in der Tiefe. Ich kann sie nicht erkennen. Vor ein paar Tagen stieß eine zerborstene Schiffsplanke zu mir, vermutlich Teil eines tragischen Unglücks: Der ins Holz geschnitzte Name HMS La Paloma ist derzeit die einzige Literatur weit und breit.

Wenn ich mich im Kreis drehe, zeigt sich mir in jede Richtung das gleiche monotone Bild: eine von Wellen unterbrochene Linie zwischen Himmel und Meer.

Doch was ist das? Habe ich mich getäuscht? Schafft die brennende Sonne auf dem Kopf schon Trugbilder im Hirn? Ich drehe mich zurück zu der optischen Abwechslung und sehe tatsächlich – erst mit großen Pausen zwischen dem Auf und Ab an der Wasseroberfläche, dann regelmäßiger – das Masttopp eines Schiffes in der Ferne!

Wird es in meine Nähe kommen? Werden sie an Bord eine allein im Ozean treibende Person überhaupt wahrnehmen? Ich kann nur abwarten und mich auf ein Zusammentreffen vorbereiten. Tatsächlich – der Kurs scheint mir gelegen zu kommen, das Schiff nähert sich. Ich mache mich bereit, schwimme mit ein paar Zügen in Position, so dass der Rumpf, leicht versetzt mit der Luv zugewandten Seite, auf mich zuhält.

Das Schiff, eine Dreimastbark unter vollen Segeln, ragt majestätisch vor mir auf, segelt auf mich zu, gleitet im rechten Abstand an mir vorbei und verschwindet unaufhaltsam in der unendlichen Weite des Meeres.

•••

Klick, klick, klick. Ich habe meine Fotos im Kasten, lehne mich zurück auf die Planke der La Paloma und stelle mich ein auf eine weitere lange Zeit des Wartens bis zur nächsten Schiffsbegegnung.

 

Henning Alberti