4500m

TRAVEL JOURNAL | MAI 2007

4500 METER ÜBER DEM MEER

Unverhofft kommt oft und eine spontane Entscheidung ist oft eine gute Entscheidung. So begann der Tag anders, als erwartet, denn ich befand mich kurzentschlossen 4500 Meter über der Kieler Förde. Der Weg dorthin war eine Ereignisaneinaderreihung, lest selbst.

 

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NEWCLEAR POWER •|||•••••••• FUNNY FALLOUT

HENNING ALBERTI

4500 METER ÜBER DEM MEER

 

1.Mai – Johannes, Oli und ich sitzen dösend im Hof vor Olis Haus in Kiel in der Sonne und erholen uns. Ich komme gerade aus Kambodscha zurück und gestern Abend waren wir auf einer Studentenparty in Kiel gewesen, die zwar lang, aber nicht besonders gut war.

 

Johannes erinnerte sich an eine Segelflugveranstaltung auf dem Flugplatz Holtenau vor einigen Jahren, bei der man die Mitflugmöglichkeit geboten bekam. Vielleicht fand die ja zufällig auch heute wieder statt. Träge entschieden wir uns, einfach mal hinzuradeln und sonst weiter zum Strand zu fahren.

 

Auf dem Flugplatz war kein Segelflieger zu sehen. Dafür ein paar Grillstände, ein paar nette Leute und eine fliegende Schuhkiste, speziell für den Transport von Gütern oder vielen Leuten (24) konzipiert – ein Kasten mit Stummelflügeln. Es war Fallschirmspringertag, zu dem das Flugzeug eigens aus Flensburg nach Kiel kam. Im Gegensatz zu dem Kieler Flugzeug mit 2500 Meter Absprunghöhe erreicht die "Pink", eine Shorts Skyvan, 4000 Meter MSL und mehr.

 

Johannes war von Beginn an begeistert und rannte unentschlossen über den Platz und grübelte, ob er den angebotenen Tandemsprung mitmachen soll. Ich selbst war viel zu verkatert von gestern als daß ich irgendeine aufwändige körperliche Aktivität in Erwägung ziehen konnte. Ich sah mir die Fallschirmspringer in der Luft an, die Bratwürste auf dem Grill und den Springern beim Packen ihrer Schirme zu. Oli hatte bereits vor einigen Jahren das Abenteuer mitgemacht. Johannes buchte einen Sprung, aha!

 

Da es noch eine Stunde dauern sollte bis zu seinem Flug, machten Oli und ich uns auf den Weg zum Falkensteiner Strand.

 

Rechtzeitig zu den Vorbereitungen von Johannes erstem Tandemsprung waren Oli und ich zurück im Hangar. "Warum nicht auch Du?" hörte ich es neben mir von einem jungen Flensburger Springer. "Ich, äh, nö, verkatert, gefeiert, müde…" – "Na und, paßt doch." – "Na gut.", sagte ich und buchte mich für einen Tandemsprung aus 4500 Metern.

Oli sah mich mit den Zetteln, auf denen man den Veranstalter von jeder Haftung befreit und wunderte sich "Du auch?!? Mist, dann muß ich ja mit, her mit dem Zettel."

 

Zehn Minuten später saßen wir in Overalls gekleidet, im Fallschirmgurtzeug im Flugzeug. Ich versuchte, die Angaben der kurzen Einweisung am Boden zu erinnern. Für mich wirkte alles wie durch einen Nebel, der durch das Magenkribbeln aus Begeisterung, Wahnsinn und der Freude über die spontane Entscheidung und den beiden Freunden im Flieger unterstrichen wurde.

 

Das Flugzeug ist offenbar übermotorisiert oder sehr leicht beladen gewesen. Mit auffällig viel Schub drückte es uns vom Boden ab und stieg rasant in steilem Winkel empor. Wind und Thermiken brachen es ab und zu zum wackeln und bewirkte ein authentisches Gefühl vom Fliegen. Die Springer saßen in zwei Reihen am Boden, mit dem Rücken zur Flugrichtung, im Angesicht der großen Klappe am Heck, die sich in über viertausend Metern öffnen sollte. Der Flugwinkel war so groß. Nur der Teppich im Flieger verhinderte, dass alle Insassen zum Flugzeugheck rutschen. Die tiefergelegenen Fenster im hinteren Teil bescherten eine eingeschränkte aber grandiose Aussicht bei bestem Wetter und klarer Sicht über Kiel, über einen großen Teil von Schleswig-Holstein bis nach Dänemark und weit ins Landesinnere.

 

In der avisierten Flughöhe von ca 4,5 Kilometern verbanden sich die Fallschirmspringer mit ihren Tandemgästen, wir standen auf, das Flugzeug öffnete das Garagentor und eröffnete einen unglaublichen Blick auf luftiger Höhe, aus einem wackeligen Flieger, ohne eine Barriere zwischen mir und der Erde. Ich versuchte, den Blick und die Situation so lange und intensiv zu verinnerlichen, um den Moment des Übertretens von Flugzeugboden in den freien Fall mit Überschlägen so aufmerksam und konzentriert mitzuerleben. Ob ich mitbekomme, in welcher Position man sich nach dem Sprung befindet?

 

Meine Fußspitzen stehen bereits über der Kante, eine Hand hält sich noch an der Flugzeugdecke fest, dann am Gurt, dann beginnt der Fall. Zuerst kopfüber aus dem Flieger, eine kurze Weile spürt ich eher die horizontale Bewegung, gleich darauf beginnt das Fallen, zu dem wir uns in die übliche horizontale Bauchlage begebe. Ein kleiner Schirm bremst auf die Geschwindigkeit von 200 Stundenkilometern, da sonst unkontrollierte Fallgeschwindigkeiten durch das doppelte Gewicht zweier Personen erreicht würden.

 

Der Übertritt aus dem Flugzeug ist der spannendste Moment. Eben noch in einer windigen Maschine gesessen, dann der haaresträbende Moment, die Tür zu öffnen und dort oben zu stehen und runterzuschauen, um sich danach in die Tiefe zu stürzen. Das macht unglaublich viel Spaß.

Der Freifall ist angenehm, überschaubar, läßt Zeit zum Gucken und Grinsen, eine breites, flatterndes Grinsen. Ich spüre, wie ich durch meine ständig ändernde Kopfbewegungen (ich will ja alles sehen) die Stabilität beeinflusse und mein Partner Frank die bewegungen ausgleicht. Die Minute Freifall kommt mir lange vor, angenehm lange, ich kann alle Empfindungen registrieren, bevor er mir den Höhenmesser zeigt und den Schirm öffnet. Zuerst spürt man ein kurzes Wegsacken, da für den Moment, in dem der Schirm freigegeben wird bis sich die Leinen spannen der Bremsfallschirm keine Wirkung mehr zeigt. Das ist aber so kurz, da gleich im Anschluß der Schirm teilgeöffnet bereits bremst, dann aufgeht und ich das Gefühl bekomme, auf der Stelle stehengeblieben zu sein. Stille. Grinsen. Luftholen.

 

Die Schirmfahrt aus 1500 Metern dauert ettliche Minuten, ca. 7-8 Minuten? Und erinnert mich sehr ans Gleitschirmfliegen. Sie läßt Zeit zum Klön, zum Gucken. Ich sehe all die Ecken von Kiel und Umgebung, die ich sonst nur vom Kitesurfen, Radfahren, Baden, Knutschen kenne. Es ist ähnlich dem Gleitschirmfliegen, nur schneller und steiler.

Mit ein paar Steilkurven bauen wir Höhe ab, überfliegen den Flugplatz, drehen ein paar Kurven über dem Landeareal und setzen weich und kontrolliert im Gras auf. Sehr schön. Und schade, daß es schon vorbei ist.

 

Ich brauche Zeit, um die Kompaktheit der Ereignisse zu verdauen. Das Flugfeld, der Flieger, die Fallschrimspringer, die Bratwurst, die Entscheidung, die kurze Zeit danach bis zum Einstieg, der Flug, die Höhe, das wackelige Flugzeug, die Freunde in den Overalls, die Aussicht, der Absprung, der Fall, der Flug, die Aussicht, die Landung, die Zeit danach am Boden - 45 Minuten? Kaum länger, aber unglaublich ereignisreich!

 

Völlig aufgedreht und mit eingemeißeltem Grinsen bin ich, sind wir um eine wunderbare Erfahrung reicher und ein paar Euros ärmer. Der Tag war groß.

 

Sehr zu empfehlen:

www.pink.at

www.skydive-kiel.de

Filmchen:

www.youtube.com/watch?v=M8ZBH9ejQDU

oder ein paar Bilder aus dem Video gucken: